Archiv der Kategorie: Politisieren

Man möchte brechen

oder: Gedanken zum Konservativismus

Konservativ bedeutet „bewahrend“. Es wird im Sinne einer Bewahrung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung gebraucht. Konservativ heißt nicht, Tatsachen zu verleugnen, um rechtfertigen zu können, dauerhaft im Status Quo zu verbleiben. Konservativ sein heißt viel mehr, sich für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.

Ewiggestrig ist nicht das selbe wie konservativ.

Konservativ bedeutet nicht, Sicherheit über Freiheit zu stellen. Benjamin Franklin hatte Recht: Wer essenzielle Freiheit für ein bisschen vorübergehende Sicherheit aufgibt, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.

Konservativismus ist nicht Konformismus. Konformität ist kein Wert an sich. Gesellschaftliche Konformität ist eine orwellsche Distopie. Bezeichnet Konservativismus die Bewahrung der bestehenden gesellschaftichen Ordnung, die eine freiheitlich-demokratische ist, dann ist Konformität über Offenheit und Pluralität zu stellen geradezu das Gegenteil von konservativ.

Darknet

Aber in einer freien, offenen Demokratie gibt es meiner Meinung nach keinen legitimen Nutzen.

Staatssekretärs im Bundesinnenministerium Günter Krings (CDU) über das „Darknet“

Ja, wir leben in einer freien und offenen Demokratie, aber offenbar arbeitet man in der CDU dran. Paradoxerweise führt Herr Krings gerade durch seine Forderungen nach einer Kriminalisierung des Tor-Netzwerks seine Prämisse ad absurdum.

Na Bravo

Da hat ja gerade eine knappe Mehrheit im EU-Parlament eindrucksvoll bewiesen, wie manche Abgeordneten die junge Generation der Internetnutzer ohne jeden Respekt anpissen als gekauft, Bots oder Mob diffamieren, den Rat von Experten schlicht ignorieren und vor der Lobby der Content-Mafia Zeitungsverleger und Verwertungsgesellschaften einknicken.

Wenn nur bald mal wieder Wahl wäre… Moment…

Artikel 13

Morgen wird im EU-Parlament über die umstrittende Urheberrechtsreform abgestimmt.

Vorgestern sind Zehntausende in ganz Deutschland gegen diese Reform auf die Straßen gegangen. Wir waren in Frankfurt dabei. Es hat mich gefreut, so viele junge Menschen und mutmaßlich viele Informatiker, die sonst nicht immer sehr politisch sind, dort zu sehen. Der Paulsplatz war vor Beginn der Veranstaltung jedenfalls schon gut gefüllt.

Aber gibt es nicht auch Gründe, für diese Reform zu sein?

Nein!

Bei näherer Betrachtung der wesentlichen Argumente der Befürworter fällt auf, dass der aktuelle Entwurf nicht geeignet ist, um die Ziele zu erreichen, die man sich davon verspricht.

Sollten nicht die Plattformen mehr an die Urheber zahlen?

Ja klar, aber die Reform ist nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Zwar ist in Artikel 13 vorgesehen, dass die Plattformen Inhalte von Verwertungsgesellschaften lizenzieren. Hinter dieser Logik steht die Annahme, dass YouTube wohl nur dazu benutzt wird, urheberrechtlich geschützes Material von Musikern und Filmstudios illegal zu verbreiten. Aber das ist nicht so! Klar kann man sich die Musikvideos der deutschen Top 100 Charts bei YouTube ansehen, aber die wurden von den Bands selbst hochgeladen. Sollten andere Uploader urheberrechtlich geschützte Musik zum Beispiel als Hintergrund für eigene Filme verwenden, ist dies natürlich erst mal urheberrechtlich nicht in Ordnung. Allerdings zahlt YouTube bereits heute Lizenzgebühren an die GEMA!

Die Reform stärkt also allenfalls die Verhandlungsposition der Verwertungsgesellschaften, da bislang ein Plattformbetreiber erst ab Kenntnis einer Urheberrechtsverletzung haftbar war, nach der Reform aber direkt beim Upload. Es ist aber keineswegs so, dass bisher kein Geld geflossen war und es ist auch nicht so, dass YouTube gezwungen wäre, Lizenzen abzuschließen. Sie könnten auch den Upload verhindern, dann wären wir bei den Uploadfiltern (s.u.).

Künstler, die nicht von der GEMA vertreten werden, haben weiterhin nichts davon, da es kaum möglich sein wird, mit einer Vielzahl von Musikern Lizenzvereinbarungen abzuschließen. Die Reform stärkt also gar nicht die Urheber, sondern nur die Verwerter.

Desgleichen gilt im Text-Bereich für Autoren, die nicht von der VG Wort vertreten wären. (Ok, das betrifft jetzt vielleicht eher Artikel 11.) Einer der größten Empfänger von Auszahlungen der VG Wort ist im übrigen Gerüchten zufolge der Springer-Verlag. Kein Wunder also, dass Bild und Welt so stark für die Reform schreiben.

Aber da steht doch gar nix von Uploadfiltern?

Äh, doch. Der Plattformbetreiber ist nämlich dann nicht haftbar, wenn er die bestmögliche Anstrengung unternimmt, den zukünftigen Upload von urheberrechtlich geschütztem Material zu unterbinden („best efforts to prevent their future uploads“). Das geht nur mit Uploadfiltern.

Es gibt übrigens eine Reihe von erlaubten Nutzungen von urheberrechtlich geschütztem Material in Form von Zitaten oder Satire. Das ist sogar auch nach dem Entwurf von Artikel 13 ausdrücklich erlaubt. Allerdings würde der Einsatz von Uploadfiltern zweifellos zu Kollateralschäden führen, also in verhältnismäßig großer Zahl auch legale Uploads zurückweisen.

Kann man da nicht mit KI was machen?

Nein! Filter auf Basis von Machine Learning haben eine zu große Fehlerrate. Insbesondere die Unterscheidung von legaler Nutzung im Rahmen von Satire ist ein hartes Problem. (Ich weiß, wo von ich Rede, ich hab‘ mal ne Doktorarbeit über Machine Learning geschrieben.) Das ist auch die einhellige Meinung von Informatikern, auch wenn einige „Experten“ der CDU da anderer Meinung sind. Und nein, Google erkennt die Memes nicht mit KI, sondern daran, dass jemand an ein Bild mal „Meme“ dran geschrieben hat.

Im übrigen braucht Machine Learning Trainingsdaten, also sprich Vorlagen, anhand derer die zu klassifizierenden Inhalte zu identifizieren sind. Technisch sind nur die großen Plattformen mit vielen Daten dazu in der Lage, mit wenigstens halbwegs zufriedenstellender Genauigkeit einen solchen Uploadfilter zu bauen. Mittelgroße Betreiber müssten sich also einen solchen Filter von Google zur Nutzung geben lassen. Die Uploadfilter zementieren also noch die Vormachtstellung von Google.

YouTuber sind auch Urheber!

Was in den Argumenten der Befürworter keine Rolle zu spielen scheint ist übrigens die Tatsache, dass die YouTuber, die von den genannten Kollateralschäden, dem unberechtigen Zurückweisen von Inhalten durch automatische Filter, betroffen wären, auch Urheber sind. Auch unter diesen gibt es welche, die mit ihren Werken Geld verdienen. Nur weil es nicht über Filmstudios und Großverlage läuft, kann man das nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Für diese Urheber bedeuten Uploadfilter potentiellen Einnahmeausfall.

Zensur?

Und dann war da noch das Zensur-Problem. Natürlich ist eine Verhinderung von urheberrechtsverletzenden Uploads erst mal keine Zensur, aber wenn eine Infrastruktur erst mal etabliert ist, gibt es immer auch die Möglichkeit, sie zu missbrauchen. Eine Ausweitung auf Terrorpropaganda ist schon angedacht. Aber was kommt dann? Manch einer denkt da schon weiter.

Fazit

Fassen wir also zusammen:

Artikel 13 stärkt nicht die Urheber, sondern allenfalls die Verwertungsgesellschaften.

Artikel 13 führt nicht dazu, dass die großen Plattformen geschwächt werden, sondern zementiert noch ihre Vormachtstellung.

Uploadfilter sind technisch schwierig, weil Machine Learning ist nicht in der Lage, hinreichend genau zwischen legalen Zitaten und Satire und urheberrechtlich illegaler Nutzung zu unterscheiden.

Artikel 13 führt also nicht dazu, dass alle Urheber besser gestellt werden, denn YouTuber sind auch Urheber und die werden von ungenauen Filtern behindert.

Cyberbull

Wenn Ihr mal ne spannende Serie schauen wollt, schaut Euch Designated Survivor an, aber bitte nur die erste Staffel.

Wenn Ihr ne schlechte Serie schauen wollt, schaut Euch auch Designated Survivor an, aber diesmal die zweite Staffel.

Diese Serie bekommt von mir nicht nur die Auszeichnung für das größtmögliche Qualitätsgefälle, sondern auch den Preis für den größten jemals gemessenen Bullshit in Szenen mit Computerbezug.

Dass Bildschirminhalte nicht so eine große Rolle spielen, so lange es irgendwie kompliziert und doch cool aussieht, ist nichts neues. Auch dass mittels Magie aus einem Satellitenbild eine hoch aufgelöste Frontalaufnahme eines Verdächtigen entsteht, ist im Fernsehen schon lange Standard. Dass dieses Bild dann „Pixel für Pixel“ mit den Datenbanken abgeglichen wird, ist schon eine Spezialität. Einen einzelnen weißen, schwarzen oder bunten Punkt in einer Datenbank zu suchen, das bringt sicher viel. Aber egal, das geht vielleicht noch als unglückliche Formulierung durch.

Anekdoten aus Designated Survivor

Ein wenig später freut sich der IT-Crack Chuck, dass er die Firewall des Laptops eines Verdächtigen überwunden hat. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Warum hat sich Chuck die Mühe gemacht, die Firewall, die den Rechner vor unbefugtem Zugriff aus dem Netzwerk schützen soll, zu überwinden, wenn das Gerät direkt vor ihm auf dem Tisch steht?

Aber vielleicht ist es auch nur des Wortwitzes wegen: Der Laptop geht wenige Augenblicke später in Flammen auf, weil der böse Besitzer „den Akku gehackt“ hat. Vielleicht hätte das FBI doch lieber einen IT-Forensiker anstellen sollen, der sich mit sowas auskennt.

Eher ein Schmankerl für Kenner war dann noch, dass der selbe Chuck Erkenntnisse über eine Auktion von Alan-Turing-Memorabilia gewinnt, bei der unter anderem eine Turing-Maschine versteigert wurde. Da wurde der Käufer wohl betrogen, handelt es sich bei einer Turing-Maschine doch um ein mathematisches Konstrukt, ein rein theoretisches Gebilde, nicht um ein physisch existierendes Gerät.

Warum ärgert mich das?

Eigentlich finde ich sowas ja ganz amüsant, besonders weil es gerade in dieser Serie so unglaublich übertrieben absurd ist, wenn man sich auch nur ein bisschen mit der Materie auskennt.

Doch das Problem ist, dass sich so beim Zuschauer ein falsches Bild von Computertechnik, von Sicherheitslücken und von Angriffen auf IT-Systeme verfestigt. Wenn etwas nur oft genug im Fernsehen gezeigt wird, und wenn es auch in einer Action-Serie ist, besteht leider die Gefahr, dass es irgendwann jemand für bare Münze nimmt.

Anstatt sich von solchem Cyber-Zauber beeindrucken zu lassen, sollten sich Computernutzer (d.h. wir alle!) lieber auch mal mit echter IT-Sicherheit befassen. Wer sich auch nur ansatzweise von dem Bild inspirieren lässt, das in dieser TV-Serie vermittelt wird, schwebt in Gefahr, die realen und alltäglichen Bedrohungsszenarien zu ignorieren.

Die letzte Konsequenz davon sieht man auch in dem aktuellen Fall von „Doxing„, bei dem personenbezogene Daten von etwa 1000 Menschen, darunter viele Politiker, veröffentlicht wurden. Mehr Kompetenz im Umgang mit IT-Systemen ist notwendig, um die Ursachen zu verstehen und solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Nimmt man dagegen zu viel von dem Mumpitz zu sich, wie er in Designated Survivor und anderen Action-Serien vorkommt, dann kommen leider so kompetenzbefreite Ideen wie die des „Hack-Back“ auf den Tisch, statt generell die (defensive) IT-Sicherheit zu stärken. Letzteres könnte natürlich als Nebeneffekt dazu führen, dass der Bundestrojaner dann nicht mehr läuft. Ob man das deshalb nicht will?

Die Realität ist spannender!

Dass die Realität sehr viel spannender ist als Cyber-Bullshit, sieht man übrigens jedes Jahr beim Chaos Communication Congress. Dieses Jahr wurde da unter anderem gezeigt, wie man über Fax in Firmennetze einbrechen kann, es wurde die biometrische Identifikation mit Venenerkennung durch eine Attrappe überwunden und es wurde gezeigt, wie man Geldautomaten um ihren Inhalt erleichtern kann.

Man sich übrigens durchaus an der Realität orientieren und trotzdem daraus eine spannende Serie stricken! Mein Schlusswort ist deshalb: Wenn Ihr mal ne spannende Serie mit mehr Cyber, aber weniger Bullshit sehen wollt, dann schaut Euch Mr. Robot an!

Die allgemeine Dienstpflicht

Mein Mann hat letzte Woche einen Artikel, oder eher „Rant“, gegen die allgemeine Dienstpflicht veröffentlicht, der bei vielen zu Emotionen geführt. Wäre unser Welt eine andere, wäre ich durchaus für diese „Dienstpflicht“. Und vielleicht ist sie auch ein Schritt näher zu dieser Welt, die ich mir wünsche. Könnte man hoffen. Aber „Spoiler Alarm“: ist es wahrscheinlich nicht.

Dafür?

In meiner idealen Welt leben wir in einer Community, in der jede sich für die Gemeinschaft engagiert und etwas aus der Gemeinschaft bekommt. Es gilt als selbstverständlich, sich als junger Mensch ein Jahr um andere zu kümmern.

In meiner Welt wird der Wert eines Menschen nicht im Gehalt gemessen, das sie bekommt, sondern an dem was sie für die Gemeinschaft leistet.

In meiner Wunschwelt werden Arbeitsstellen an die Menschen vergeben, die charakterlich am ehesten geeignet sind. Das Alter oder der strebsame Lebenslauf ohne Lücken ist dafür irrelevant.

In meiner Welt hat jede immer genügend Geld um zu leben, ob sie arbeitet oder nicht. Jede Person hat die gesundheitliche Versorgung, die sie benötigt, unabhängig von Gehalt, Herkunft, Religion oder Lebensstil.

In meiner Welt braucht man keine Dienstpflicht, weil viele Menschen sich gerne um andere kümmern und dies als ehrbare Aufgabe gilt. Sie wird gerne wahrgenommen, weil sie als wichtiger Bestandteil unserer Gemeinschaft anerkannt wird.

Dagegen!

In einer Welt, in der der Wert einer Arbeit und damit eines Menschen unter anderem nach dem Gehalt gemessen wird, ist es entwürdigend, Menschen zu niedrigst bezahlter Arbeit zu zwingen.

In einer Realität, in der sich das Gehalt kapitalistisch an Angebot und Nachfrage orientieren soll, macht es das System kaputt, wenn Menschen in diese Jobs gezwungen werden und so das Angebot künstlich erhöht wird.

In einer Welt, in der „jung sein“ und ein möglichst direkter Lebenslauf ohne Lücken notwendig ist, um gute finanzielle Mittel zu bekommen, ist es kontraproduktiv Menschen für ein Jahr auf einen „Umweg“ zu zwingen.

In einer Gesellschaft in der Möglichkeit der Selbstverwirklichung und Freiheit die größten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte sind, ist diese Dienstpflicht mit einer Strafe gleich zu setzen.

Charakterbildend… am Arsch!

Im diesjährigen Sommerloch wird darüber diskutiert, die Aussetzung der Wehrpflicht rückgängig zu machen, und zwar für Männer und Frauen. Ich sehe da eine Luftnummer. Wenn es eine Wehrpflicht für Männer und Frauen geben soll, müsste man Artikel 12a des Grundgesetzes ändern, denn dort steht ganz eindeutig, dass Männer  zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden können. Ich glaube kaum, dass es dafür eine Zweidrittelmehrheit gibt. Eigentlich hätte sich dieses Vorhaben damit schon wegen Aussichtslosigkeit erledigt, wenn nicht in der Union und auch der SPD nun die Befürworter des Pflichtdienstes wieder aus ihren Löchern kämen.

Zivildienst

In Wahrheit geht es aber gar nicht um die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat ganz andere Sorgen. Selbst der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, der sich 2014 noch stark für die Wehrpflicht ausgesprochen hat, kritisiert die aktuelle Debatte und meint, es werde hier nur „eine neue Sau durchs Dorf getrieben“.  Eigentlich geht es darum, über eine allgemeine Dienstpflicht den Zivildienst wieder einzuführen. Karl Lauterbach von der SPD spricht das aus und sagt, dass wegen des Wegfalls des Zivildienstes in vielen sozialen Einrichtungen diese Kräfte fehlten.

Doch das kann eigentlich nicht richtig sein.

Nach geltendem Recht darf ein Zivildienstleistender gar nicht für Tätigkeiten eingesetzt werden, in denen er regulär Beschäftigte ersetzt. Ein Zivildienstleistender durfte eigentlich nie in der Pflege, sondern nur für die Betreuung eingesetzt werden. Mit was wir es hier zu tun haben ist also nichts anderes als ein Eingeständis, dass über Jahre hin Rechtsbruch toleriert wurde.

Zwangsrekrutierte Billigarbeiter statt Fachkräfte

Wenn also der Ruf nach einer Dienstpflicht mit der Begründung laut wird, dass im sozialen Bereich Arbeitskräfte fehlen, bedeutet dass nichts anderes als dass ordentlich bezahlte und ausgebildete Kräfte durch zwangsrekrutierte Billigarbeiter ersetzt werden sollen.

Doch das wird hoffentlich schon deshalb nichts, weil es gegen das Verbot der Pflichtarbeit in der europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Artikel 1 des Grundgesetzes steht sowieso schon in Konflikt mit Artikel 12. Zwangsarbeit ist eine Missachtung der Würde des Menschen. In Zeiten des kalten Krieges war eine Ausnahme zur Landesverteidigung gerade noch hinnehmbar. Eine Zwangsverpflichtung junger Menschen, nur weil man billige Arbeitskräfte braucht, ist es nicht.

Charakterbildend? Nicht geschadet?

Und dann wäre da noch das Argument, dass dieses Dienstjahr charakterbildend ist und ja noch niemandem geschadet hat und bla bla bla…

Charakterbildend am Arsch. Aus persönlicher Sicht war mein Zivildienst nichts als Zeitverschwendung, vergeudete Lebenszeit. Mag sein, dass ich einigen kranken und behinderten Menschen geholfen habe. Vielleicht habe ich aber auch nur einer Fachkraft den Arbeitsplatz weggenommen. Es hat meinen Charakter nicht geprägt. Es hat mir nicht geschadet, es hat mir aber auch rein gar nichts gebracht.

Wer selbst gedient oder Zivildienst geleistet hat und etwas anderes behauptet, der verklärt die Vergangenheit oder lügt.

Es hat auch der Gesellschaft nichts gebracht. Wahrscheinlich hätte es der Gesellschaft mehr gebracht, wenn ich ein Jahr früher in den Beruf eingestiegen wäre und somit ein Jahr früher Steuern gezahlt hätte.

Ich hätte ein Jahr früher Forschung betreiben und Deutschland und Europa im Bereich des Machine Learning voranbringen können. Stattdessen war der Staat der Meinung, dass mein Zivildienst für die Gesellschaft wichtiger war. Da gehen unsere Meinungen wohl auseinander.

Ihr wollt doch nur andere leiden sehen!

Wer heute für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder gar für eine allgemeine Dienstpflicht ist, will nur andere leiden sehen. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Die Einstellung meiner Eltern und Großeltern war, dass es ihren Kindern besser gehen soll als ihnen selbst. Wer heute Achtzehnjährige zu einem Jahr Zwangsdienst verpflichten will, tut dies, weil er oder sie der Meinung ist, dass es die Jungen zumindest in diesem Punkt nicht besser haben sollen. Das ist nicht in Ordnung!

Wenn heute die Dienstpflicht mit dem Argument gefordert wird, sie würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, verkennt die Realität. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird sicher nicht dadurch gesichert, dass man Achtzehnjährige zum Dienst verpflichtet. Er wird umgekehrt auch nicht dadurch gefährdet, dass sie das gegenwärtig nicht tun müssen.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird dadurch gefährdet, dass heute alles schön billig sein muss. Dadurch, dass es haufenweise Menschen gibt, die schlecht bezahlt werden. Und jetzt soll also der gesellschaftliche Zusammenhalt dadurch hergestellt werden, dass man alle jungen Menschen dazu zwingt, noch schlechter bezahlt die Arbeiten zu tun, für die sich auf dem Arbeitsmarkt niemand findet. Wie bescheuert ist das denn!?

 

Fake Science und Verlage

Derzeit berichtet die Tagesschau unter dem Titel „Fake Science“ über pseudowissenschaftliche Verlage, die ohne Peer Review gegen Bezahlung alles veröffentlichen. Am Montag soll dazu im Ersten die volle Reportage laufen.

Neu ist das Phänomen nicht. Schon 2005 haben drei MIT-Studenten ein computergeneriertes Fake-Paper bei einer Konferenz untergebracht und vor etwas über einem Jahr hat es die gewagte These, dass der konzeptuelle Penis Schuld am Klimawandel hat, nicht nur in eine Fachzeitschrift der Sozialwissenschaften, sondern auch in die Medien geschafft.

Im Interview mit der Tagesschau – siehe dazu weiter unten das eingebettete Video –unterscheidet die Journalistin Svea Eckert, die im Rahmen ihrer Recherchen selbst eine solche pseudo-wissenschaftliche Konferenz besucht hat, zwischen drei Gruppen von Teilnehmern. Zum einen ernsthafte Wissenschaftler, die die Pseudowissenschaftlichkeit der Konferenz oder Zeitschrift im Vorfeld nicht erkannt haben, denen schlicht das Geld aus der Tasche gezogen wurde und die danach nie wieder dort auftauchen. Zum zweiten Wissenschaftler, die unter hohem Publikationsdruck stehen und diesen Weg nutzen, um die Zahl ihrer Publikationen künstlich in die Höhe zu treiben.

Die dritte Gruppe dagegen, deren Existenz mir in der Tat so noch nicht bewusst war, ist gefährlich. Sie nutzt diese Veröffentlichungsmethode, um ihre eigenen Interessen durch scheinbar wissenschaftliche Studien zu untermauern und so zum Beispiel wertlose „Medikamente“ zu verkaufen.

Hintergrund GcMAF

Einer der Auslöser für die Recherchen war offenbar der Tod der an Krebs erkrankten Moderatorin Miriam Pielhau, die auf Basis von falschen Studien über das Mittel GcMAF darauf gesetzt hatte. Pikant ist an dieser Stelle allerdings, dass über dieses Mittel zuerst in eigentlich als seriös eingestuften Zeitschriften zum Beispiel aus dem Wiley-Verlag veröffentlicht wurde, die Studien dann aber später zurückgezogen wurden, wie ich über einen Tweet mitbekommen habe.

Die komplette Reportage anzuschauen könnte durchaus lohnen. Allerdings lenkt diese „Fake Science“-Reportage zu diesem Zeitpunkt den Blick von einem anderen, weniger öffentlich diskutiertem, aber für Wissenschaftler mindestens genau so wichtigem Schauplatz ab: den gescheiterten Verhandlungen des Projekt DEAL, einer Bestrebung zur bundesweiten Lizenzierung von Angeboten großer Wissenschaftsverlage, mit Elsevier.

Gierige Wissenschaftsverlage

Wie unterscheidet sich denn eigentlich das Geschäftsmodell eines Verlags wie Elsevier von dem der „Fake Science“-Verlage? Erschreckenderweise ist die Antwort: Fast gar nicht. Beide kassieren für die Veröffentlichung von Papieren von den Autoren, also den Wissenschaftlern. Elsevier verlangt aber zudem noch Geld von den Wissenschaftlern, die die Artikel ihrer Kollegen hinterher lesen wollen, und zwar nicht zu knapp. Weil Elsevier an dieser Stelle die Hand ein wenig zu weit aufhält, sind die Verhandlungen erst einmal auf Eis gelegt, teilt die Hochschulrektorenkonferenz mit. Natürlich findet bei seriösen Wissenschaftsverlagen eine Begutachtung durch Kollegen, ein Peer Review, statt, dies geschieht aber ehrenamtlich durch andere Wissenschaftler. Unterm Strich zieht also ein Verlag wie Elsevier den Forschern das Geld noch schlimmer aus der Tasche als die „Fake Science“-Verlage und die öffentliche Hand zahlt dreifach: Die Forschung selbst wird meistens öffentlich gefördert, der Verlag wird für die Veröffentlichung bezahlt und die Bibliotheken der Hochschulen zahlen nochmal dafür, dass ihre Wissenschaftler die Veröffentlichungen dann auch lesen dürfen.

Dass es auch anders geht, zeigen Open-Access-Journale wie z.B. das Journal of Machine Learning Research. Dieses Magazin ist ein Beispiel, das eindrucksvoll zeigt, dass die Wissenschaftsverlage nichts, aber auch gar nichts leisten, was nicht auch von Wissenschaftlern in Eigenregie erledigt werden kann.

In der Informatik scheint man generell schon etwas weiter zu sein als in den Naturwissenschaften. Ich habe beim Schreiben meiner Doktorarbeit praktisch alle von mir gelesenen Aufsätze frei im Netz finden können, weil sowieso die allermeisten Papers in diesem Bereich von ihren Autoren zusätzlich auf ihren eigenen Homepages oder denen der Universität zugänglich sind. Und wenn nicht, würden sicher viele Autoren auf Nachfrage ihre Papers auch direkt rausrücken, schließlich wollen die ja zitiert werden. Bei den Informatikern spielt Elsevier glücklicherweise so gut wie keine Rolle und die Bedingungen des Springer-Verlags (der Wissenschaftsverlag, nicht der von der Bildzeitung), der im Informatikbereich viele Konferenzbände veröffentlicht, sind weniger restriktiv. Da hieß es damals, dass es von Seiten des Verlags wünschenswert sei, dass man mit der Veröffentlichung auf der eigenen Homepage bis ein Jahr nach Veröffentlichung bei Springer warten soll. Ich dachte mir dann immer, dass es von meiner Seite wünschenswert ist, das nicht zu tun. Das war dann auch ok.

Wenn die Verhandler des Projekts DEAL hart bleiben, kommt vielleicht auch Elsevier irgendwann zu der Erkenntnis, dass die Wissenschaftler sehr wohl ohne die Verlage leben können, aber die Verlage nicht ohne die Wissenschaftler. Immer mehr Forscher lehnen es inzwischen ab, für Elsevier ehrenamtlich Peer Review zu betreiben oder bei Elsevier zu veröffentlichen. Und wer von dort was lesen muss, der wird sich jetzt, da den deutschen Universitätsbibliotheken der Zugang gesperrt wurde (bis vor kurzem hatte den Elsevier in seiner unendlichen Güte auch nach Auslaufen der alten Lizenz noch zur Verfügung gestellt), vielleicht das „umstrittene“ Sci-Hub für sich entdecken…

Demonstrationen zur Einheit Spaniens

Endlich gibt es auch mal Demonstrationen für die Einheit Spaniens in Barcelona. Die Demonstranten ziehen mit großen geteilten Herzen für Spanien, Katalonien und Europa durch die Stadt. Das wirkt offen, vereinend und sympathisch. Ich würde das gerne gut finden.

Bildquelle: REUTERS – URL von der Tagesschau

ABER:

wenn man etwas hinter die Kulissen schaut wird einem leider sehr schnell sehr übel.

Organisiert wird die Demonstration von der Societat Civil Catalana. Eine Organisation, die sich vor allem für die Einheit Spaniens einzusetzen scheint. Leider gibt sie aber mit der Demonstration auch zahlreichen faschistischen Organisationen einen Plattform.

Im Gegensatz zu Deutschland sind faschistoide Organisationen in Spanien erlaubt und werden teilweise von politischen Parteien noch finanziell unterstützt. (Siehe: [1] und [2])

Heute vor 84 Jahren, so erfährt man auf der Facebookseite der spanischen Falange, hatte Franco die Idee diese Bewegung zu gründen. Eine Organisation die Francisco Franco bei der blutigen Eroberung des Landes unterstützt hat.

Screenshot der Facebookseite https://www.facebook.com/mfenacional/ am 29.10.2017

Leider erfährt man nicht nur das, sondern man sieht eine Reihe von Videos der Demo in Barcelona und Forderungen zur gewaltsamen Unterdrückung Kataloniens. [3]. Auf den Twitterkonten sieht man noch mehr Beispiele der rechtsradikalen Anhänger der Falange. [4]

Auf den Webseiten der Falange selbst wird dazu aufgerufen, die Einheit Spaniens mit allen Mitteln unverzüglich zu verteidigen. [5]

Screenshot der Facebookseite der Falange Barcelona vom 29.10.2017 https://www.facebook.com/LaFalangeBCN/

Auf den Seiten der „Falange Auténtica“ wird dafür geworben, sofort Katalonien sämtliche Autonomierechte zu entziehen und direkt aus Madrid zu regieren. Die 155 auf deren Seiten stehen in dem Fall für den Artikel 155 der Verfassung, der diese Änderung erlaubt.

Screenshot der Facebookseite der Falange auténtica vom 29.10.2017. https://www.facebook.com/falangeautentica/

Warum bietet diese doch eher neutral aussehende Gesellschaft so vielen Rechten eine Plattform?

Wenn man sich die Gründer und Mitglieder etwas genauer ansieht, kann man sich vorstellen warum. Gründer der Gesellschaft ist Josep Ramon Bosch i Codina. Vor der SCC hat er Sonatemps gegründet. Mehr dazu findet man in Artikeln von Jordi Borras.[6] Wenn man sich die Plattform etwas genauer ansieht wirkt sie wie eine Mischung aus Pegida und Breitbart. Allein die Seite über die Islamisierung Spaniens könnte fast von der AfD oder Pegida abgeschrieben sein. Neben Sonatemps hatte er auch noch eine faschistischen Youtube Kanal, den er aber wohl vor einiger Zeit geschlossen hat.[7]

Eine der Vizepräsidenten ist Miriam Tey. Sie ist mit Mitglieder im Parlament von Rajoy verwandt, Direktorin des Instituto de la Mujer und Herausgeberin des Buches „Todas Putas„. Ein Buch in dem sich Vergewaltiger und Pedophile für die Vergewaltigungen rechtfertigen. Ein Zitat: „Ahora que todos los negros son buenos y todos los maricones unos seres muy simpáticos, a ver si la sociedad ésta se reúne y decide de una vez que no todos los violadores somos mala gente… Siempre será mejor violar a una mujer y dejarla viva, que no violarla y matarla. Yo no sería capaz de matar a una mujer, no tendría estómago para ello. Pero violarlas, les aseguro que no me produce ningún remordimiento.“

Ein weitere Vizepräsident ist José  Domingo. Er forderte schon 2009 die Aussetzung der Autonomie Kataloniens, da deren Statut nicht der Spanischen Verfassung entspräche.[8 und 9]

Aber wollen denn nicht viele Katalanen in Spanien bleiben?

Auch auf den Seiten der Societat Civil Catalana wird immer wieder betont, dass viele Katalanen auch weiterhin zu Spanien gehören wollen. Das ist mit Sicherheit richtig, unklar ist aber der Anteil.

Was man nicht wirklich in Deutschland mitbekommt, dass es neben den Demonstrationen zur Einheit Spaniens, in jeder Stadt fast an jedem Tag riesige Demonstrationen für die Unabhängigkeit gibt. Diese übersteigen in den Teilnehmerzahlen die Demonstrationen zur Einheit Spaniens um ein Vielfaches, ohne dass dafür Teilnehmer aus anderen Landesteilen anreisen müssen. Es gibt also eine breite Masse, die die Unabhängigkeit aus vielen verschiedenen Gründen unterstützt.

Eine vernünftige Lösung für so eine Situation wäre ein Referendum gewesen, in dem jeder Bürger seine Meinung dazu sagen kann. Leider haben die Gegner der Unabhängigkeit diese Chance zu großen Teilen nicht genutzt.

[1] https://www.heise.de/tp/features/Im-Bett-mit-Franco-3430965.html/

[2] https://es.wikipedia.org/wiki/Fundaci%C3%B3n_Nacional_Francisco_Franco

[3] https://www.facebook.com/falangistas

[4] https://twitter.com/fedelasjons/status/924605663472443392

[5] https://falange.es/los-poderes-del-estado-deben-restaurar-de-inmediato-la-unidad-de-espana-rota-por-la-declaracion-secesionista-del-parlamento-autonomico-de-cataluna

[6] https://www.grupbarnils.cat/desmuntant-societat-civil-catalana-el-nou-llibre-dedicions-saldonar-i-el-grup-barnils/

[7] http://elmon.cat/politica/el-president-de-scc-penja-videos-de-propaganda-feixista-amb-la-seva-propia-veu-a-youtube

[8] http://hemeroteca.vozlibre.com/noticias/ampliar/20384/domingo-sugiere-suspender-la-autonomia

[9] http://blogdejosedomingo.blogspot.de/2009/

Ich glaube nicht an Nationen

In den letzten Jahren gibt es eine für mich völlig absurde Wiederbelebung des Nationalismus weltweit. Insbesondere in Europa wächst nicht nur die Begeisterung für das eigene Land, sondern damit auch gleich noch die Verachtung von allem, was angeblich das Bild vom eigenen Land bedroht und anders ist.

Jetzt mal ehrlich, ich kann meinen Ehemann auch lieben, ohne alle anderen Männer hassen zu müssen. Während ich mir meinen Ehemann, meine Stadt und meinen Arbeitgeber, meine Freunde und viele weitere Dinge, die mein Leben und meine Identität bestimmen, selber ausgesucht habe, ist mein Geburtsland eher zufällig über mich gekommen.

Warum also ausgerechnet das Geburtsland und eventuell auch noch die Religion (die ich mir in der Regel auch nicht selber aussuche) so essentiell für die eigene Identität sein sollen, erschließt sich mir nicht.

Die willkürliche Grenzziehung der Nationalstaaten, die dann zur Konstruktion einer Kultur und Geschichte herangezogen wurden, erscheinen mir viel zu weit weg und fremd, um ein „wir“ zu fühlen. Es gibt wenige Punkte in der deutschen Geschichte, die mich persönlich geprägt haben. Davon haben sich die meisten tatsächlich erst nach meiner Geburt ereignet oder meine Eltern so betroffen, dass ich die Auswirkungen im Leben gemerkt habe.

Mein aktuelles Leben in Frankfurt hat von den Gebräuchen, Essen, Werten und Sitten wenig mit dem Leben meiner Eltern im Emsland vor 50 Jahren gemein. Wenn es irgendwie noch etwas wie gemeinsame Kultur gibt, dann kann ich sie noch ansatzweise in kleineren kulturellen Regionen wie Hessen, Münsterland, Friesland, Katalonien oder Andalusien sehen. Warum aber Katalonien mit Andalusien mehr gemein haben sollte als mit Südfrankreich, nur weil mal jemand die Regionen zu einer Nation zusammengelegt hat, erscheint mir völlig willkürlich und künstlich konstruiert.

Von dem ausgehend muss ich gestehen, dass ich den katalanischen Nationalismus noch etwas besser nachvollziehen kann als den deutschen oder spanischen Nationalismus. Vor allem auch, weil dort zwar lokale Gerichte und Bräuche als eigenes gefeiert werden, aber die Herabwürdigung von Allem, was anders ist, ausbleibt. So kann ich doch auch der Meinung sein, dass grüne Soße eins der besten Gerichte der Welt ist und trotzdem mich auf mein Leberkäsbrötchen und eine Paella freuen.