Im diesjährigen Sommerloch wird darüber diskutiert, die Aussetzung der Wehrpflicht rückgängig zu machen, und zwar für Männer und Frauen. Ich sehe da eine Luftnummer. Wenn es eine Wehrpflicht für Männer und Frauen geben soll, müsste man Artikel 12a des Grundgesetzes ändern, denn dort steht ganz eindeutig, dass Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden können. Ich glaube kaum, dass es dafür eine Zweidrittelmehrheit gibt. Eigentlich hätte sich dieses Vorhaben damit schon wegen Aussichtslosigkeit erledigt, wenn nicht in der Union und auch der SPD nun die Befürworter des Pflichtdienstes wieder aus ihren Löchern kämen.
Zivildienst
In Wahrheit geht es aber gar nicht um die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat ganz andere Sorgen. Selbst der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, der sich 2014 noch stark für die Wehrpflicht ausgesprochen hat, kritisiert die aktuelle Debatte und meint, es werde hier nur „eine neue Sau durchs Dorf getrieben“. Eigentlich geht es darum, über eine allgemeine Dienstpflicht den Zivildienst wieder einzuführen. Karl Lauterbach von der SPD spricht das aus und sagt, dass wegen des Wegfalls des Zivildienstes in vielen sozialen Einrichtungen diese Kräfte fehlten.
Doch das kann eigentlich nicht richtig sein.
Nach geltendem Recht darf ein Zivildienstleistender gar nicht für Tätigkeiten eingesetzt werden, in denen er regulär Beschäftigte ersetzt. Ein Zivildienstleistender durfte eigentlich nie in der Pflege, sondern nur für die Betreuung eingesetzt werden. Mit was wir es hier zu tun haben ist also nichts anderes als ein Eingeständis, dass über Jahre hin Rechtsbruch toleriert wurde.
Zwangsrekrutierte Billigarbeiter statt Fachkräfte
Wenn also der Ruf nach einer Dienstpflicht mit der Begründung laut wird, dass im sozialen Bereich Arbeitskräfte fehlen, bedeutet dass nichts anderes als dass ordentlich bezahlte und ausgebildete Kräfte durch zwangsrekrutierte Billigarbeiter ersetzt werden sollen.
Doch das wird hoffentlich schon deshalb nichts, weil es gegen das Verbot der Pflichtarbeit in der europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Artikel 1 des Grundgesetzes steht sowieso schon in Konflikt mit Artikel 12. Zwangsarbeit ist eine Missachtung der Würde des Menschen. In Zeiten des kalten Krieges war eine Ausnahme zur Landesverteidigung gerade noch hinnehmbar. Eine Zwangsverpflichtung junger Menschen, nur weil man billige Arbeitskräfte braucht, ist es nicht.
Charakterbildend? Nicht geschadet?
Und dann wäre da noch das Argument, dass dieses Dienstjahr charakterbildend ist und ja noch niemandem geschadet hat und bla bla bla…
Charakterbildend am Arsch. Aus persönlicher Sicht war mein Zivildienst nichts als Zeitverschwendung, vergeudete Lebenszeit. Mag sein, dass ich einigen kranken und behinderten Menschen geholfen habe. Vielleicht habe ich aber auch nur einer Fachkraft den Arbeitsplatz weggenommen. Es hat meinen Charakter nicht geprägt. Es hat mir nicht geschadet, es hat mir aber auch rein gar nichts gebracht.
Wer selbst gedient oder Zivildienst geleistet hat und etwas anderes behauptet, der verklärt die Vergangenheit oder lügt.
Es hat auch der Gesellschaft nichts gebracht. Wahrscheinlich hätte es der Gesellschaft mehr gebracht, wenn ich ein Jahr früher in den Beruf eingestiegen wäre und somit ein Jahr früher Steuern gezahlt hätte.
Ich hätte ein Jahr früher Forschung betreiben und Deutschland und Europa im Bereich des Machine Learning voranbringen können. Stattdessen war der Staat der Meinung, dass mein Zivildienst für die Gesellschaft wichtiger war. Da gehen unsere Meinungen wohl auseinander.
Ihr wollt doch nur andere leiden sehen!
Wer heute für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder gar für eine allgemeine Dienstpflicht ist, will nur andere leiden sehen. Anders kann ich mir das nicht erklären.
Die Einstellung meiner Eltern und Großeltern war, dass es ihren Kindern besser gehen soll als ihnen selbst. Wer heute Achtzehnjährige zu einem Jahr Zwangsdienst verpflichten will, tut dies, weil er oder sie der Meinung ist, dass es die Jungen zumindest in diesem Punkt nicht besser haben sollen. Das ist nicht in Ordnung!
Wenn heute die Dienstpflicht mit dem Argument gefordert wird, sie würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, verkennt die Realität. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird sicher nicht dadurch gesichert, dass man Achtzehnjährige zum Dienst verpflichtet. Er wird umgekehrt auch nicht dadurch gefährdet, dass sie das gegenwärtig nicht tun müssen.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird dadurch gefährdet, dass heute alles schön billig sein muss. Dadurch, dass es haufenweise Menschen gibt, die schlecht bezahlt werden. Und jetzt soll also der gesellschaftliche Zusammenhalt dadurch hergestellt werden, dass man alle jungen Menschen dazu zwingt, noch schlechter bezahlt die Arbeiten zu tun, für die sich auf dem Arbeitsmarkt niemand findet. Wie bescheuert ist das denn!?
„Wer selbst gedient oder Zivildienst geleistet hat und etwas anderes behauptet, der verklärt die Vergangenheit oder lügt.“ Da fehlen mir wirklich die Worte, diese Aussage ist nicht nur respektlos und diffamierend, sondern reiht sich super in den aktuellen Populismus ein. Ein Blog weniger zu lesen. 🙁
Wenn Du ernsthaft behauptest, dass der Dienst Deinen Charakter positiv beeinflusst hat, wüsste ich wirklich gerne, wie das konkret aussieht. Ich sehe in meinem Kommentar auch keine Diffamierung gegenüber Ex-Zivis. Ich war ja schließlich selber einer. Nur wer behauptet, der Zivildienst hätte ihn persönlich weiter gebracht, dem glaube ich einfach nicht.
Arbeit mit den Ärmsten und Schwächsten und einsamen Menschen, die vor sich hinstarben hat mir die Augen jenseits einer ‚theoretischen Perpsektivübernahme‘ ein ganzes Stück weiter geöffnet und mich über Jahrzehnte geprägt. Es besteht für die meisten Menschen in der Verarbeitungsleistung ein Unterschied im abstrakten Wissen von Leid und der konkreten Erfahrung.
Davon abgesehen bin ich kein Freund der Dienstpflicht, aber aus anderen Gründen als quantifizierbaren Zahlen wie Steuergeldern, die ohne Dienstpflicht höher seien o.ä. – das ist ein kurzgreifender neolibertärer Ansatz (was lustig ist, da es um Steuern geht), der sich auf einfache quantifizierbare Größen beruft. Sei es drum, sorry, ich bin raus und bleibe dabei, die Unterstellung, dass jeder, der anders denkt, lügt oder verklärt sei, diffamierend und respektlos ist – was Sie in Ihrer Antwort unterschlagen, sie gehen nicht auf die Kritik ein, sie fordern lieber Rechenschaft ein, als darauf zu reflektieren, was Sie mit Ihrer Aussage tun.
Der Andersdenkende als suspektes Objekt.
Ich habe jetzt noch mal geantwortet, weil ich nicht respektlos seien wollte. Aber jetzt wende ich mich wieder anderen Dingen zu. Ciao!
Auch wenn wir uns wohl nicht einig werden und vielleicht auch ein Stück weit aneinander vorbei reden, trotzdem vielen Dank für den Kommentar. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich durchaus Respekt vor denen habe, die Dienst geleistet haben und das in der Nachbetrachtung für sich eben anders wahrgenommen haben. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Aussage hier als so kontrovers wahrgenommen wird.
Zur Klarstellung vielleicht noch folgendes: Der Punkt mit den Steuergeldern ist sicher nicht mein Hauptargument gegen die Dienstpflicht. Es war mir klar, dass ich hier neoliberal rüber komme, auch wenn das nicht meine Einstellung ist. Es ist lediglich für die, die behaupten, der Dienst würde für den Einzelnen schließlich nicht schaden, ein Hinweis, dass der Dienst eben noch schadet, nämlich zumindest finanziell, weil man im Endeffekt ein Jahr Einnahmeausfall hat. Und ja, das sind nun einmal ganz quantifizierbare Größen, da kann ich nichts für… Ich habe mich bisher nie deswegen beklagt, aber im Endeffekt hatten die, die nicht eingezogen wurden, einen finanziellen Vorteil.
Abseits dessen würde ich vielleicht noch einen anderen Punkt hinzufügen und behaupten, dass es Menschen gibt, denen der Dienst doch sogar wirklich geschadet hat. Zum Beispiel Menschen, die den (erzwungenen) Kontakt mit Sterbenden, anders als Sie, nicht als Augen öffnend, sondern als traumatisierend wahrgenommen haben. Oder Menschen, die ganz banal während ihres Zivil- oder auch Wehrdienstes verunfallt sind.
Nun denn, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und hoffe, dass wir uns vielleicht doch noch mal lesen, denn ich habe Ihren Kommentar gerade wegen unserer gegensätzlichen Meinungen als bereichernd empfunden.