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Die allgemeine Dienstpflicht

Mein Mann hat letzte Woche einen Artikel, oder eher „Rant“, gegen die allgemeine Dienstpflicht veröffentlicht, der bei vielen zu Emotionen geführt. Wäre unser Welt eine andere, wäre ich durchaus für diese „Dienstpflicht“. Und vielleicht ist sie auch ein Schritt näher zu dieser Welt, die ich mir wünsche. Könnte man hoffen. Aber „Spoiler Alarm“: ist es wahrscheinlich nicht.

Dafür?

In meiner idealen Welt leben wir in einer Community, in der jede sich für die Gemeinschaft engagiert und etwas aus der Gemeinschaft bekommt. Es gilt als selbstverständlich, sich als junger Mensch ein Jahr um andere zu kümmern.

In meiner Welt wird der Wert eines Menschen nicht im Gehalt gemessen, das sie bekommt, sondern an dem was sie für die Gemeinschaft leistet.

In meiner Wunschwelt werden Arbeitsstellen an die Menschen vergeben, die charakterlich am ehesten geeignet sind. Das Alter oder der strebsame Lebenslauf ohne Lücken ist dafür irrelevant.

In meiner Welt hat jede immer genügend Geld um zu leben, ob sie arbeitet oder nicht. Jede Person hat die gesundheitliche Versorgung, die sie benötigt, unabhängig von Gehalt, Herkunft, Religion oder Lebensstil.

In meiner Welt braucht man keine Dienstpflicht, weil viele Menschen sich gerne um andere kümmern und dies als ehrbare Aufgabe gilt. Sie wird gerne wahrgenommen, weil sie als wichtiger Bestandteil unserer Gemeinschaft anerkannt wird.

Dagegen!

In einer Welt, in der der Wert einer Arbeit und damit eines Menschen unter anderem nach dem Gehalt gemessen wird, ist es entwürdigend, Menschen zu niedrigst bezahlter Arbeit zu zwingen.

In einer Realität, in der sich das Gehalt kapitalistisch an Angebot und Nachfrage orientieren soll, macht es das System kaputt, wenn Menschen in diese Jobs gezwungen werden und so das Angebot künstlich erhöht wird.

In einer Welt, in der „jung sein“ und ein möglichst direkter Lebenslauf ohne Lücken notwendig ist, um gute finanzielle Mittel zu bekommen, ist es kontraproduktiv Menschen für ein Jahr auf einen „Umweg“ zu zwingen.

In einer Gesellschaft in der Möglichkeit der Selbstverwirklichung und Freiheit die größten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte sind, ist diese Dienstpflicht mit einer Strafe gleich zu setzen.

Charakterbildend… am Arsch!

Im diesjährigen Sommerloch wird darüber diskutiert, die Aussetzung der Wehrpflicht rückgängig zu machen, und zwar für Männer und Frauen. Ich sehe da eine Luftnummer. Wenn es eine Wehrpflicht für Männer und Frauen geben soll, müsste man Artikel 12a des Grundgesetzes ändern, denn dort steht ganz eindeutig, dass Männer  zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden können. Ich glaube kaum, dass es dafür eine Zweidrittelmehrheit gibt. Eigentlich hätte sich dieses Vorhaben damit schon wegen Aussichtslosigkeit erledigt, wenn nicht in der Union und auch der SPD nun die Befürworter des Pflichtdienstes wieder aus ihren Löchern kämen.

Zivildienst

In Wahrheit geht es aber gar nicht um die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat ganz andere Sorgen. Selbst der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, der sich 2014 noch stark für die Wehrpflicht ausgesprochen hat, kritisiert die aktuelle Debatte und meint, es werde hier nur „eine neue Sau durchs Dorf getrieben“.  Eigentlich geht es darum, über eine allgemeine Dienstpflicht den Zivildienst wieder einzuführen. Karl Lauterbach von der SPD spricht das aus und sagt, dass wegen des Wegfalls des Zivildienstes in vielen sozialen Einrichtungen diese Kräfte fehlten.

Doch das kann eigentlich nicht richtig sein.

Nach geltendem Recht darf ein Zivildienstleistender gar nicht für Tätigkeiten eingesetzt werden, in denen er regulär Beschäftigte ersetzt. Ein Zivildienstleistender durfte eigentlich nie in der Pflege, sondern nur für die Betreuung eingesetzt werden. Mit was wir es hier zu tun haben ist also nichts anderes als ein Eingeständis, dass über Jahre hin Rechtsbruch toleriert wurde.

Zwangsrekrutierte Billigarbeiter statt Fachkräfte

Wenn also der Ruf nach einer Dienstpflicht mit der Begründung laut wird, dass im sozialen Bereich Arbeitskräfte fehlen, bedeutet dass nichts anderes als dass ordentlich bezahlte und ausgebildete Kräfte durch zwangsrekrutierte Billigarbeiter ersetzt werden sollen.

Doch das wird hoffentlich schon deshalb nichts, weil es gegen das Verbot der Pflichtarbeit in der europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Artikel 1 des Grundgesetzes steht sowieso schon in Konflikt mit Artikel 12. Zwangsarbeit ist eine Missachtung der Würde des Menschen. In Zeiten des kalten Krieges war eine Ausnahme zur Landesverteidigung gerade noch hinnehmbar. Eine Zwangsverpflichtung junger Menschen, nur weil man billige Arbeitskräfte braucht, ist es nicht.

Charakterbildend? Nicht geschadet?

Und dann wäre da noch das Argument, dass dieses Dienstjahr charakterbildend ist und ja noch niemandem geschadet hat und bla bla bla…

Charakterbildend am Arsch. Aus persönlicher Sicht war mein Zivildienst nichts als Zeitverschwendung, vergeudete Lebenszeit. Mag sein, dass ich einigen kranken und behinderten Menschen geholfen habe. Vielleicht habe ich aber auch nur einer Fachkraft den Arbeitsplatz weggenommen. Es hat meinen Charakter nicht geprägt. Es hat mir nicht geschadet, es hat mir aber auch rein gar nichts gebracht.

Wer selbst gedient oder Zivildienst geleistet hat und etwas anderes behauptet, der verklärt die Vergangenheit oder lügt.

Es hat auch der Gesellschaft nichts gebracht. Wahrscheinlich hätte es der Gesellschaft mehr gebracht, wenn ich ein Jahr früher in den Beruf eingestiegen wäre und somit ein Jahr früher Steuern gezahlt hätte.

Ich hätte ein Jahr früher Forschung betreiben und Deutschland und Europa im Bereich des Machine Learning voranbringen können. Stattdessen war der Staat der Meinung, dass mein Zivildienst für die Gesellschaft wichtiger war. Da gehen unsere Meinungen wohl auseinander.

Ihr wollt doch nur andere leiden sehen!

Wer heute für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder gar für eine allgemeine Dienstpflicht ist, will nur andere leiden sehen. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Die Einstellung meiner Eltern und Großeltern war, dass es ihren Kindern besser gehen soll als ihnen selbst. Wer heute Achtzehnjährige zu einem Jahr Zwangsdienst verpflichten will, tut dies, weil er oder sie der Meinung ist, dass es die Jungen zumindest in diesem Punkt nicht besser haben sollen. Das ist nicht in Ordnung!

Wenn heute die Dienstpflicht mit dem Argument gefordert wird, sie würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, verkennt die Realität. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird sicher nicht dadurch gesichert, dass man Achtzehnjährige zum Dienst verpflichtet. Er wird umgekehrt auch nicht dadurch gefährdet, dass sie das gegenwärtig nicht tun müssen.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird dadurch gefährdet, dass heute alles schön billig sein muss. Dadurch, dass es haufenweise Menschen gibt, die schlecht bezahlt werden. Und jetzt soll also der gesellschaftliche Zusammenhalt dadurch hergestellt werden, dass man alle jungen Menschen dazu zwingt, noch schlechter bezahlt die Arbeiten zu tun, für die sich auf dem Arbeitsmarkt niemand findet. Wie bescheuert ist das denn!?