Katalonien und die Unabhängigkeit

Vor zwei Wochen gab es am katalanischen Nationalfeiertag (wie auch schon vor einem Jahr) landesweite Demonstrationen mit einer Menschenkette von den Pyrenäen bis zur Grenze zur valencianischen Gemeinschaft. Doch warum wollen viele Katalanen eigentlich die Unabhängigkeit?

Flaggen der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter am Mercadal in Reus
Flaggen der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter am Plaça del Mercadal in Reus

Katalonien hat seine eigene Sprache, die sich von Spanisch mindestens so stark wie das Niederländische vom Deutschen unterscheidet und sprachwissenschaftlich auch als eigene Sprache und nicht nur als Dialekt gilt. Katalonien hat seine eigene Kultur. Die (im vorletzten Eintrag gezeigten) Castells gibt es nur hier. Dazu werden die Gralles gespielt. Die Gralla ist ein Holzblasinstrument, das es auch in die aktuelle Rockmusik geschafft hat. Flamenco und Kastagnetten gibt es hier nicht, von daher ist diese Fernsehwerbung für einen bekannten katalanischen Cava mit dem X im Namen – einem Buchstaben, den es im Katalanischen gibt, im Spanischen aber nur in Fremdwörtern – ein ziemlicher Bull. Womit wir beim nächsten Punkt wären: Stierkämpfe spielen in Katalonien keine Rolle und sind seit 2012 verboten.

Besonders in den deutschsprachigen Medien werden spätestens seit letztem Jahr hauptsächlich wirtschaftliche Gründe für den Wunsch nach Unabhängigkeit vorgebracht, doch das greift viel zu kurz. Natürlich ist es eine Tatsache, dass Katalonien die wirtschaftlich stärkste Region Spaniens ist. An den Zentralstaat und in die anderen Regionen geht derart viel Geld, dass dagegen der deutsche Länderfinanzausgleich ein Witz ist. Im Verhältnis gesehen fließt netto etwa das Zehnfache dessen ab, was Bayern zahlt, obwohl Katalonien selbst trotz seiner wirtschaftlichen Stärke stark verschuldet ist.

Doch die Unabhängigkeitsforderungen werden nicht so sehr von den hohen Zahlungen an sich befeuert, sondern viel mehr durch die Tatsache, dass die Katalanen den Eindruck haben, dass vom Zentralstaat nichts zurückkommt außer einer wachsenden Bevormundung. Das liegt aber auch an einer Art Konstruktionsfehler des spanischen Staates. Nach dem Ende der Franco-Diktatur – in der übrigens die katalanische Sprache verboten war – und der Wiedereinführung der Demokratie begann eine Dezentralisierung. Es wurden 17 autonome Gemeinschaften gebildet, die jedoch, anders als beispielsweise die deutschen Bundesländer, sehr unterschiedliche Kompetenzen haben und deren Zuständigkeiten nicht in einem Grundgesetz, sondern in Autonomiestatuten geregelt ist. Ein dem deutschen Bundesrat entsprechendes Organ gibt es nicht.

Ein Beispiel für die unterschiedliche Behandlung der autonomen Gemeinschaften ist dabei in der Tat auch das liebe Geld. So haben nur das Baskenland und Navarra eine teilweise Finanzhoheit, die anderen Gemeinschaften nicht. Zwischen dem Baskenland und dem Zentralstaat besteht ein „Fiskalpakt“, Katalonien wurde dies verwehrt.

Aber, wie schon gesagt, sind es eben nicht nur die Finanzen: Aufruhr erzeugte eine Einmischung des spanischen Staates in das katalanische Schulsystem. Der Zentralstaat möchte die Verwendung der katalanischen Sprache in Grundschulen zurückdrängen und einige Regelungen Kataloniens wurden für verfassungswidrig erklärt. Vor dem Hintergrund der Erinnerung an die Unterdrückung Kataloniens und der katalanischen Sprache und Kultur in der Zeit der Franco-Diktatur liegt auf der Hand, dass gerade dies als besonderer Einschnitt empfunden wird. Der Streit darum, ob Katalonien im Autonomiestatut nun als eine „Nation“ oder nur eine „Nationalität“ bezeichnet wird, mutet dagegen schon wieder fast banal an, aber da „Nation“ hier hauptsächlich als „Kulturnation“ verstanden wird, wird auch dieser Punkt vor dem selben Hintergrund betrachtet als Bevormundung empfunden. Überhaupt wäre auch völlig unabhängig davon eine stärkere, gesamtspanische Aufarbeitung der Franco-Zeit sicher wünschenswert, was sicherlich auch zu besseren Beziehungen zwischen Katalonien und „Restspanien“ beitragen könnte.

In deutschen Medien werden gelegentlich Vergleiche zu den Unabhängigkeitsbestrebungen der „Lega Nord“ in Italien oder der „Vlaams Belang“ in Flandern gezogen. Doch das ist völlig falsch. Während die norditalienischen und flämischen Unabhängigkeitsbefürworter politisch rechts einzuordnen sind, ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ganz eindeutig links. Dass es in Katalonien nicht nur um wirtschaftliche Gründe geht, was man ja den Norditalienern unterstellt, sieht man auch daran, dass einige Gruppierungen und Parteien eine Unabhängigkeit nicht nur für Katalonien, sondern für die „katalanischen Länder“ fordern, was die Balearen und das wirtschaftlich schwächere Valencia mit einschließt. Auch sind die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter für einen Verbleib in der EU. Wenn man schon Vergleiche zu anderen Ländern ziehen möchte, so wäre das vielleicht am ehesten noch mit Irland möglich, dass sich 1922 nach Jahrhunderten vom Vereinigten Königreich loslösen konnte und dessen Unabhängigkeit heute niemand mehr in Frage stellt.

Doch wohin wird für Katalonien die Reise gehen? Für 2014 ist ein Unabhängigkeitsreferendum geplant, doch der spanische Staat wird eine Unabhängigkeit sicher nicht akzeptieren. Ein von manchen ins Spiel gebrachtes Eingreifen des Militärs muss man wohl als Säbelrasseln und Rückgriff in die Vergangenheit der Diktatur abtun, dennoch wird Spanien Katalonien nicht so einfach gehen lassen. Möglicherweise wird eine Neuorganisation der Autonomiestatuten eine Entlastung bringen und sogar nötig sein, um den Frieden zu wahren. Eine Unsicherheit ergibt sich aus der Rolle des Königshauses. Der spanische König ist momentan gesundheitlich stark angeschlagen und niemand weiß, was kommt. So könnten sich möglicherweise nach Juan Carlos Befürworter einer Republik durchsetzen, was auch eine Neuordnung Spaniens bedeuten würde.

Quellen und weiterführende Links:

http://www.fr-online.de/politik/unabhaengigkeit-katalonien-spanien-die-abtruennigen,1472596,24286384.html

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/katalonien-in-der-not-fuer-die-unabhaengigkeit-11886374.html

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/spanien/katalonische-unabhaengigkeitsforderung-ein-neuer-staat-in-europa-11947767.html

http://www.nzz.ch/aktuell/international/uebersicht/katalanen-und-basken-protestieren-gegen-schulreform-1.17869254