Archiv der Kategorie: Zitat des Tages

Computer benutzen und verstehen

We live in a society exquisitely dependent on science and technology, in which hardly anyone knows anything about science and technology. — Carl Sagan

Dieser Satz des amerikanischen Astronomen bringt es auf den Punkt: Die meisten Menschen verstehen zu wenig von den Dingen, von denen sie abhängen. Der Grund, warum ich dies, was ich ja eigentlich schon anlässich eines früheren Zitates des Tages angesprochen hatte, noch einmal aufzeigen will, ist nicht nur, dass es so wichtig ist, sondern auch ganz konkret, weil ich über einen Artikel eines anderen Blogs gestolpert bin: „Kids Can’t Use Computers… And This Is Why It Should Worry You“. (Danke an Anne Schüßler für den Link!)

Der Autor vertritt die These, dass selbst die Mitglieder der jungen Generation, von denen gemeinhin angenommen wird, dass sie sich mit Computern auskennen, das in Wahrheit nicht tun. Und das deckt sich auch mit meinen eigenen Beobachtungen. Die Notwendigkeit, sich im Detail mit seinem Arbeitsgerät zu befassen, ist heute in vielen Fällen schlicht nicht mehr da. Wir benutzen unsere Programme und gut is. Dass wir dabei oft nicht wissen, was dahinter vorgeht, ist nicht nur, aber am offenkundigsten dann ein Problem, wenn mal was nicht funktioniert. Der Autor greift auch auf, dass es leider nur zu oft gesellschaftlich akzeptiert ist, wenn man sich mit Wissenschaft und Technik nicht auskennt. Ein Problem, das schon anlässlich der Veröffentlichung von Schwanitz‘ Buch „Bildung. Alles, was man wissen muß“ diskutiert wurde, aber offenbar nicht mit nachhaltiger Wirkung.

Wer halbwegs Englisch versteht, sollte den Artikel unbedingt lesen. Wem das zu lang ist, der schaue sich wenigstens „I Fucking Love Science“ auf Facebook an.

So schlimm beinah, als einen König zu töten

O, I am slain. — Polonius

aus: Hamlet, dritter Aufzug, vierte Szene / William Shakespeare

Während im Vereinigten Königreich bei Internet-Providern wohl ab Jahresende Pornofilter kommen und in Deutschland bei der CSU nun auch darüber nachgedacht wird, werden bereits jetzt anderswo in Großbritannien keine halben Sachen gemacht. Wie die „Zeit“ berichtet, wurden durch den Internet-Filter der British Library die Werke Shakespeares wegen Gewalttätigkeiten blockiert.

Mag das in diesem Fall noch eine bedauerliche Fehlfunktion sein, muss man die Gefahr sehen, die darin besteht, dass ein solcher Inhaltsfilter praktisch beliebige Inhalte filtern kann. Wird als nächstes in Schulen der Zugriff auf die „Fünf Freunde“ und „Peter Pan“ gesperrt, weil die darin vermittelten Rollenbilder nicht mehr zeitgemäß sind? Besteht dann überhaupt noch ein Unterschied zwischen solchen Internet-Filtern und einer Internet-Zensur, wie sie in China stattfindet?

Bleiben wir doch besser bei Artikel 5 Absatz 1 unseres Grundgesetzes und nutzen unser Recht, uns aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

In die Ecke

Besen! Besen!

Seyd’s gewesen. — Johann Wolfgang von Goethe

aus der Ballade „Der Zauberlehrling“

Zwei BesenDer Grünen-Politiker Tom Koenigs, MdB fordert in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau eine stärkere öffentliche Kontrolle der Geheimdienste und beklagt, eine kritische Bewertung der Anti-Terror-Gesetzgebung nach 2001 habe nicht stattgefunden. Die herbei gerufenen Geister würden wir nun schwer wieder los. Ein lesenswerter Beitrag, in dem unter anderem auf die Gefahren hingewiesen wird, die entstehen, wenn Sicherheit über Freiheit gestellt wird.

NSA, PRISM und ECHELON

Hinsichtlich der Echelon-Abhöranlage in Bad Aibling haben wir uns darauf verständigt, dass wir sie – anders als die Amerikaner – in Deutschland als eine militärische Einrichtung betrachten, damit eine Betreuung durch die Bundeswehr möglich ist. […] Die Amerikaner wollen dort mehr als nur einige Polizeibeamte mit Maschinenpistolen. Sie wollen für die weltweit wichtigste Abhöreinrichtung angemessenen Schutz. — Günther Beckstein, CSU

damals bayrischer Innenminister, am 18. Oktober 2001

Momentan wird ja in der aktuellen Debatte um die Abhöraktivitäten – das Wort „Skandal“ sei hier bewusst vermieden, zum Warum gleich – in der Vergangenheit gewühlt, was natürlich auch vor dem Hintergrund des aktuellen Wahlkampfs gesehen werden muss. Wie man schon am Datum des obigen Zitats sieht, möchte ich mich an diesem Wühlen in der Vergangenheit auch ein wenig beteiligen und sogar noch etwas weiter zurück gehen.

Alle reden aktuell über die Enthüllungen Edward Snowdens. Aber ist die Grundaussage wirklich überraschend? Die NSA hört uns ab. Ja toll! Die NSA ist ein Geheimdienst, natürlich hören die ab, das ist deren Aufgabe. „Aber wir sind doch deren Freunde, sollten die nicht unsere gemeinsamen Feinde abhören?“, mag man hier einwenden. Aber dass die NSA auch uns abhört ist in Wahrheit nichts neues.

Soldaten! Vorsicht bei Gesprächen! Spionagegefahr!
Plakat von 1916, Online-Ausgabe bei der Deutschen Nationalbibliothek

Spätestens seit 1996 ist bekannt, dass die USA, das Vereinigte Königreich, Australien, Neuseeland und Kanada ein Abhörprogramm namens ECHELON betreiben. Im damals erschienenen und inzwischen im Web verfügbaren Buch „Secret Power“ des neuseeländischen Autors Nicky Hager wird ECHELON detailliert beschrieben, einschließlich der Tatsache, dass auch seinerzeit schon die Kommunikation rechnergestützt nach Schlüsselwörtern durchsucht wurde. Eine Abhörstation von ECHELON befindet bzw. befand sich auch im bayrischen Bad Aibling.

Bad Aibling Station
Bad Aibling Station, Bild: Dr. Johannes W. Dietrich, 2006

In einem „Working Document“ des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 1998 mit dem Titel „An Appraisal of Technologies of Political Control“ wird unter anderem mit Bezug auf Nicky Hagers Buch das ECHELON-System ebenfalls erwähnt. Dort heißt es auf Seite 19 über Echelon: „[U]nlike many of the electronic spy systems developed during the cold war, ECHELON is designed for primarily non-military targets: governments, organisations and businesses in virtually every country.“ Wie dieses Abhören von nicht-militärischen Zielen aussah, konnte man später im Jahr 2000 im Spiegel nachlesen, nachdem Frankreich Vorwürfe erhoben hatte, die USA hätten ECHELON für Wirtschaftsspionage genutzt. Nachdem Anfang 2001 die NSA aufgrund der langsam entstehenden öffentlichen Debatte ursprünglich angekündigt hatte, den Posten in Bad Aibling zu schließen, wurde nach den Terroranschlägen nicht mehr diskutiert, sondern entschieden, ECHELON weiter zu betreiben. Die Anlage wurde 2004 nach Darmstadt verlegt. In diese Zeit fällt also das jetzt diskutierte und mit dem Namen Steinmeier verbundene „Memorandum of Agreement“.

Aber gehen wir wieder etwas zurück, und zwar ins Jahr 1996. Damals hieß der Bundeskanzler noch Helmut Kohl, der Bundesinnenminister Manfred Kanther und der dominierende Web-Browser Netscape Navigator. Und jetzt entfernen wir uns von der Diskussion um die NSA und das Abhören durch ausländische Geheimdienste, sondern wenden uns stattdessen den von deutschen Bundesgesetzen gedeckten Abhörmaßnahmen zu. Im Jahr 1996 wurde nämlich das Telekommunikationsgesetz (TKG) verabschiedet. Im § 110 heißt es dort: „Wer eine Telekommunikationsanlage betreibt, mit der öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbracht werden, hat ab dem Zeitpunkt der Betriebsaufnahme auf eigene Kosten technische Einrichtungen zur Umsetzung gesetzlich vorgesehener Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation vorzuhalten und organisatorische Vorkehrungen für deren unverzügliche Umsetzung zu treffen“.

Ab dem Jahr 1997 wurde schließlich von Kanther darauf hin gearbeitet, Verschlüsselung zu verbieten oder zumindest zu regulieren und eine Hinterlegung der Schlüssel bei staatlichen Stellen zu erzwingen, würde doch ein konsequenter Einsatz von Kryptographie jegliche Abhörmaßnahme letztlich ins Leere laufen lassen. Aber: Ein Verbot von Kryptographie bedeutet natürlich nicht nur eine Vereinfachung des Abhörens durch inländische Behörden, sondern letztlich auch durch ausländische Geheimdienste, wie eben die NSA. Daher wurde Kanther auch vorgeworfen, sein Vorstoß zur Regulierung von Verschlüsselung sei nicht zuletzt auf amerikanischen Druck hin betrieben worden. Die Diskussion dauerte schließlich bis ins Wahljahr 1998 an, die Befürworter einer Kryptoregulierung führten das Argument der inneren Sicherheit an während die Gegner unter anderem die Gefahr Industriespionage befürchteten, die, wie sich herausstellte, durchaus real war, siehe auch oben. Aus der breiten Öffentlichkeit interessierte sich damals jedoch kaum jemand für diese Debatte, bis auf ein paar Nerds.

Schloss

Nach dem Wahlsieg der SPD wurde es schließlich still um die Kryptodebatte. Heutzutage fordert vor dem Hintergrund von Internet-Banking, e-Commerce und Datenschutz geradezu selbstverständlich niemand mehr ein generelles Verbot von Kryptographie oder eine Schlüsselhinterlegung, allerdings hat sich der Einsatz von wirksamer End-zu-End-Verschlüsselung für beispielsweise E-Mail-Kommunikation oder Instant Messaging auch nie durchsetzen können. Vor dem Hintergrund von Web-Mailern und der Kommunikation über soziale Netzwerke ist Verschlüsselung mit einer Verkomplizierung und Komforteinschränkung verbunden. Dies führte letztlich dazu, dass sich nie eine kritische Masse von an Verschlüsselung Interessierten bilden konnte. In der Praxis besteht nun die Möglichkeit, einen Großteil der Kommunikation an zentralen Stellen abzufangen.

Was müssen wir also aus diesen Betrachtungen ableiten?

Innen- und Sicherheitspolitiker beider großen Fraktionen waren und sind an der Duchführung von Abhörmaßnahmen interessiert. Sowohl deutsche Gesetze als auch geheimdienstliche Arbeit spielen dabei eine Rolle. Die Argumente der Befürworter sind die Bekämpfung von Terror, Kinderpornographie oder ganz allgemein der Kriminalität. Die Gefahren liegen in der Möglichkeit der Industriespionage, aber auch und sogar vor allem in der Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte. Wirft nun eine Seite der anderen Heuchelei vor, muss sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht selbst heuchelt. Selbstverständlich ist die Zusammenarbeit mit Geheimdiensten etwas anderes als ein Abhören auf Basis von demokratisch beschlossenen Gesetzen, aber man kann beides nicht isoliert voneinander betrachten. Auch bei der geheimdienstlichen Zusammenarbeit waren letztlich beide Fraktionen beteiligt, siehe dazu das Eingangszitat von Beckstein. Ein anderes Zitat, nicht von Beckstein, sondern von Bernstein, passt an dieser Stelle aber auch ganz gut:

Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche – F. W. Bernstein

Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche
Elch-Skulptur von Hans Traxler vor dem Caricatura Museum für Komische Kunst in Frankfurt am Main

Betrachten wir noch einmal kurz die Gefahren des Abhörens. Das Argument, wer nichts zu verbergen habe, der habe auch nichts zu befürchten, greift dabei zu kurz. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen unbescholtene Bürger in einen falschen Verdacht gerieten und teils gravierende Nachteile in Kauf zu nehmen hatten, so viele, dass es hier dem geneigten Leser überlassen sei sie nachzuschlagen. Aber vor allem führt die Gewissheit, unter konstanter Beobachtung zu stehen, bewusst oder unbewusst zu einem angepassten und konformen Verhalten. Wer weiß, dass man für einen harmlosen Scherz verhaftet werden kann, wenn das Wort „Bombe“ darin vorkommt, der überlegt sich zwei Mal, was er schreibt. Wollen wir wirklich eine solche Gesellschaft?

Was können wir tun? Klar, man kann sich an der Debatte beteiligen, seine Meinung äußern oder darüber bloggen. Man kann aber auch ganz praktisch was machen: E-Mails zu verschlüsseln ist heute auch nicht mehr so kompliziert, statt WhatsApp gibt’s Threema, den Facebook-Chat muss man ja nicht unbedingt benutzen und statt bei Google oder Dropbox können wir unsere Daten auch woanders speichern, zum Beispiel mit der Software ownCloud bei einem Webhoster unseres Vertrauens in Deutschland oder am besten, aber auch am aufwändigsten, auf einem eigenen Server zuhause. Zu diesen Dingen werde ich die Tage mal was bloggen.

 

Wissenschaft und Waffenwerk

„Zwei Wege gibt es, Kinder, auf denen der Mensch wandeln und zu Reichtum und Ehre gelangen kann; der eine ist der der Wissenschaften, der andre der des Waffenwerks.“ — Don Quijote

 aus: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha / Miguel de Cervantes Saavedra

Wollen wir nicht auch alle zu Reichtum und Ehre, oder zumindest zu einem von beiden gelangen? Welchen Weg Don Quijote gewählt hat und dass seine Wahl alles andere als weise war, ist hinlänglich bekannt. Aber da Don Quijote auch seine lichten Momente hatte, lohnt es vielleicht, sich doch ein wenig mit ihm und seinen Thesen auseinanderzusetzen. Möglicherweise können wir von ihm sinnreiche Wegweiser zu unseren Zielen Reichtum und Ehre bekommen.

Don Quijotes Kampf mit den Rotweinschläuchen
Don Quijotes Kampf mit den Rotweinschläuchen
Illustration von Grandville

Lassen wir also das Waffenwerk zunächst einmal außen vor und widmen uns ein wenig der Wissenschaft. Müssen wir jetzt alle Wissenschaftler werden, um zu Reichtum und Ehre zu gelangen? Kann man das als Wissenschaftler überhaupt? Mit dem Reichtum ist das so eine Sache. Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, man kann von der Wissenschaft auskömmlich leben, aber nicht wirklich reich werden. Mit der Ehre klappt das vielleicht schon eher, wenn man zu den wenigen Glücklichen gehört, denen irgendwann eine bahnbrechende Entdeckung oder Entwicklung gelingt.

Aber eigentlich will ich auf etwas ganz anderes hinaus.

Wir brauchen gar nicht alle Wissenschaftler zu sein, aber wir sollten doch ein gewisses Grundverständnis unserer Welt anstreben. Wer mit selbstverschuldeter Unwissenheit — und ist Unwissenheit bei Zugang zu Information nicht immer selbstverschuldet? — durch die Gegend läuft, dem kann jeder ein X für ein U vormachen. Wir sollten nicht alles einfach so hinnehmen. Mit Zugang zu Information und Medienkompetenz und kann man vieles selbst nachprüfen. Das müssen wir nutzen! Da der Zugang zu Information und somit der Zugang zum Verständnis der Welt heutzutage ganz besonders mit dem Internet und somit mit Computern und Informatik verknüpft ist, kann es also nicht schaden, erst einmal ein Grundverständnis hiervon zu entwickeln. Dumm, dass sich so wenige sich mit der Funktionsweise der Technik beschäftigen, von der heute alles abhängt. Denn wer die Technik kontrolliert, kontrolliert den Zugang zu Information und wer den Zugang zu Information kontrolliert, kontrolliert uns. Wissenschaft ist Waffenwerk. Nehmen wir also die Dinge in die Hand und beschäftigen wir uns mit den Innereien von Computern, der Informatik, dem Internet.

Und jetzt widme ich mich wieder dem Turing-Preis.