NSA, PRISM und ECHELON

Hinsichtlich der Echelon-Abhöranlage in Bad Aibling haben wir uns darauf verständigt, dass wir sie – anders als die Amerikaner – in Deutschland als eine militärische Einrichtung betrachten, damit eine Betreuung durch die Bundeswehr möglich ist. […] Die Amerikaner wollen dort mehr als nur einige Polizeibeamte mit Maschinenpistolen. Sie wollen für die weltweit wichtigste Abhöreinrichtung angemessenen Schutz. — Günther Beckstein, CSU

damals bayrischer Innenminister, am 18. Oktober 2001

Momentan wird ja in der aktuellen Debatte um die Abhöraktivitäten – das Wort „Skandal“ sei hier bewusst vermieden, zum Warum gleich – in der Vergangenheit gewühlt, was natürlich auch vor dem Hintergrund des aktuellen Wahlkampfs gesehen werden muss. Wie man schon am Datum des obigen Zitats sieht, möchte ich mich an diesem Wühlen in der Vergangenheit auch ein wenig beteiligen und sogar noch etwas weiter zurück gehen.

Alle reden aktuell über die Enthüllungen Edward Snowdens. Aber ist die Grundaussage wirklich überraschend? Die NSA hört uns ab. Ja toll! Die NSA ist ein Geheimdienst, natürlich hören die ab, das ist deren Aufgabe. „Aber wir sind doch deren Freunde, sollten die nicht unsere gemeinsamen Feinde abhören?“, mag man hier einwenden. Aber dass die NSA auch uns abhört ist in Wahrheit nichts neues.

Soldaten! Vorsicht bei Gesprächen! Spionagegefahr!
Plakat von 1916, Online-Ausgabe bei der Deutschen Nationalbibliothek

Spätestens seit 1996 ist bekannt, dass die USA, das Vereinigte Königreich, Australien, Neuseeland und Kanada ein Abhörprogramm namens ECHELON betreiben. Im damals erschienenen und inzwischen im Web verfügbaren Buch „Secret Power“ des neuseeländischen Autors Nicky Hager wird ECHELON detailliert beschrieben, einschließlich der Tatsache, dass auch seinerzeit schon die Kommunikation rechnergestützt nach Schlüsselwörtern durchsucht wurde. Eine Abhörstation von ECHELON befindet bzw. befand sich auch im bayrischen Bad Aibling.

Bad Aibling Station
Bad Aibling Station, Bild: Dr. Johannes W. Dietrich, 2006

In einem „Working Document“ des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 1998 mit dem Titel „An Appraisal of Technologies of Political Control“ wird unter anderem mit Bezug auf Nicky Hagers Buch das ECHELON-System ebenfalls erwähnt. Dort heißt es auf Seite 19 über Echelon: „[U]nlike many of the electronic spy systems developed during the cold war, ECHELON is designed for primarily non-military targets: governments, organisations and businesses in virtually every country.“ Wie dieses Abhören von nicht-militärischen Zielen aussah, konnte man später im Jahr 2000 im Spiegel nachlesen, nachdem Frankreich Vorwürfe erhoben hatte, die USA hätten ECHELON für Wirtschaftsspionage genutzt. Nachdem Anfang 2001 die NSA aufgrund der langsam entstehenden öffentlichen Debatte ursprünglich angekündigt hatte, den Posten in Bad Aibling zu schließen, wurde nach den Terroranschlägen nicht mehr diskutiert, sondern entschieden, ECHELON weiter zu betreiben. Die Anlage wurde 2004 nach Darmstadt verlegt. In diese Zeit fällt also das jetzt diskutierte und mit dem Namen Steinmeier verbundene „Memorandum of Agreement“.

Aber gehen wir wieder etwas zurück, und zwar ins Jahr 1996. Damals hieß der Bundeskanzler noch Helmut Kohl, der Bundesinnenminister Manfred Kanther und der dominierende Web-Browser Netscape Navigator. Und jetzt entfernen wir uns von der Diskussion um die NSA und das Abhören durch ausländische Geheimdienste, sondern wenden uns stattdessen den von deutschen Bundesgesetzen gedeckten Abhörmaßnahmen zu. Im Jahr 1996 wurde nämlich das Telekommunikationsgesetz (TKG) verabschiedet. Im § 110 heißt es dort: „Wer eine Telekommunikationsanlage betreibt, mit der öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbracht werden, hat ab dem Zeitpunkt der Betriebsaufnahme auf eigene Kosten technische Einrichtungen zur Umsetzung gesetzlich vorgesehener Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation vorzuhalten und organisatorische Vorkehrungen für deren unverzügliche Umsetzung zu treffen“.

Ab dem Jahr 1997 wurde schließlich von Kanther darauf hin gearbeitet, Verschlüsselung zu verbieten oder zumindest zu regulieren und eine Hinterlegung der Schlüssel bei staatlichen Stellen zu erzwingen, würde doch ein konsequenter Einsatz von Kryptographie jegliche Abhörmaßnahme letztlich ins Leere laufen lassen. Aber: Ein Verbot von Kryptographie bedeutet natürlich nicht nur eine Vereinfachung des Abhörens durch inländische Behörden, sondern letztlich auch durch ausländische Geheimdienste, wie eben die NSA. Daher wurde Kanther auch vorgeworfen, sein Vorstoß zur Regulierung von Verschlüsselung sei nicht zuletzt auf amerikanischen Druck hin betrieben worden. Die Diskussion dauerte schließlich bis ins Wahljahr 1998 an, die Befürworter einer Kryptoregulierung führten das Argument der inneren Sicherheit an während die Gegner unter anderem die Gefahr Industriespionage befürchteten, die, wie sich herausstellte, durchaus real war, siehe auch oben. Aus der breiten Öffentlichkeit interessierte sich damals jedoch kaum jemand für diese Debatte, bis auf ein paar Nerds.

Schloss

Nach dem Wahlsieg der SPD wurde es schließlich still um die Kryptodebatte. Heutzutage fordert vor dem Hintergrund von Internet-Banking, e-Commerce und Datenschutz geradezu selbstverständlich niemand mehr ein generelles Verbot von Kryptographie oder eine Schlüsselhinterlegung, allerdings hat sich der Einsatz von wirksamer End-zu-End-Verschlüsselung für beispielsweise E-Mail-Kommunikation oder Instant Messaging auch nie durchsetzen können. Vor dem Hintergrund von Web-Mailern und der Kommunikation über soziale Netzwerke ist Verschlüsselung mit einer Verkomplizierung und Komforteinschränkung verbunden. Dies führte letztlich dazu, dass sich nie eine kritische Masse von an Verschlüsselung Interessierten bilden konnte. In der Praxis besteht nun die Möglichkeit, einen Großteil der Kommunikation an zentralen Stellen abzufangen.

Was müssen wir also aus diesen Betrachtungen ableiten?

Innen- und Sicherheitspolitiker beider großen Fraktionen waren und sind an der Duchführung von Abhörmaßnahmen interessiert. Sowohl deutsche Gesetze als auch geheimdienstliche Arbeit spielen dabei eine Rolle. Die Argumente der Befürworter sind die Bekämpfung von Terror, Kinderpornographie oder ganz allgemein der Kriminalität. Die Gefahren liegen in der Möglichkeit der Industriespionage, aber auch und sogar vor allem in der Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte. Wirft nun eine Seite der anderen Heuchelei vor, muss sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht selbst heuchelt. Selbstverständlich ist die Zusammenarbeit mit Geheimdiensten etwas anderes als ein Abhören auf Basis von demokratisch beschlossenen Gesetzen, aber man kann beides nicht isoliert voneinander betrachten. Auch bei der geheimdienstlichen Zusammenarbeit waren letztlich beide Fraktionen beteiligt, siehe dazu das Eingangszitat von Beckstein. Ein anderes Zitat, nicht von Beckstein, sondern von Bernstein, passt an dieser Stelle aber auch ganz gut:

Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche – F. W. Bernstein

Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche
Elch-Skulptur von Hans Traxler vor dem Caricatura Museum für Komische Kunst in Frankfurt am Main

Betrachten wir noch einmal kurz die Gefahren des Abhörens. Das Argument, wer nichts zu verbergen habe, der habe auch nichts zu befürchten, greift dabei zu kurz. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen unbescholtene Bürger in einen falschen Verdacht gerieten und teils gravierende Nachteile in Kauf zu nehmen hatten, so viele, dass es hier dem geneigten Leser überlassen sei sie nachzuschlagen. Aber vor allem führt die Gewissheit, unter konstanter Beobachtung zu stehen, bewusst oder unbewusst zu einem angepassten und konformen Verhalten. Wer weiß, dass man für einen harmlosen Scherz verhaftet werden kann, wenn das Wort „Bombe“ darin vorkommt, der überlegt sich zwei Mal, was er schreibt. Wollen wir wirklich eine solche Gesellschaft?

Was können wir tun? Klar, man kann sich an der Debatte beteiligen, seine Meinung äußern oder darüber bloggen. Man kann aber auch ganz praktisch was machen: E-Mails zu verschlüsseln ist heute auch nicht mehr so kompliziert, statt WhatsApp gibt’s Threema, den Facebook-Chat muss man ja nicht unbedingt benutzen und statt bei Google oder Dropbox können wir unsere Daten auch woanders speichern, zum Beispiel mit der Software ownCloud bei einem Webhoster unseres Vertrauens in Deutschland oder am besten, aber auch am aufwändigsten, auf einem eigenen Server zuhause. Zu diesen Dingen werde ich die Tage mal was bloggen.